02.10.2011

Traum vom Fliegen

Traum vom Fliegen


1993 war das Abarth-Werk in Turin in Corso Marche noch in Benutzung.
Mein Italienisch stand damals noch besonders in umgekehrtem Verhältnis zu meinem Interesse an der Abarth-Geschichte.

Spätabends hatte ich den Pförtner des Abarth-Werkes besucht und erfahren, daß man wohl kaum eine Besichtigung machen könnte, aber ich könnte es ja trotzdem einmal bei Sig. Rosotto versuchen, tagsüber.
Der Pförtner erzählte mir vieles über das Werk und auch, daß gegenüber auf dem Flugplatz (Campo Volo) der Testbetrieb der Fahrzeuge oft durchgeführt worden sei.

Im Hotel 500 bei Pianezza übernachtete ich und fuhr am Folgetag wieder in den Corso Marche.
Dort hatte ich das Glück, daß auf meine Anfrage tatsächlich Giorgio Rosotto am Eingang erschien und nach der Erklärung, was mich zog, wurde ich sogar eingelassen. Er führte mich durch Hallen, die teilweise schon geräumt waren, denn der Umzug nach Chivasso in das ehemalige Lancia-Werk stand schon an. Teilweise waren aber auch noch Mitarbeiter beschäftigt, an Fahrzeugen Einstellarbeiten vorzunehmen. Ich sah so diverse DTM-Alfas, die ich aber allesamt nicht fotografieren durfte, wegen der Geheimhaltung. Auch Cinquecento in verschiedenen Variationen standen auf Hebebühnen. Fotografieren war mir insgesamt verboten worden und ich wollte nichts riskieren.
In einem der Räume gab mir Sig. Rosotto dann nach einem Rundumblick, der ergab, daß wir völlig alleine waren, doch die Erlaubnis, einige Fotos der Räumlichkeiten zu machen.
Viel zu schnell war ich wieder draußen und verabschiedet und wußte nun, daß die Zeiten in Corso Marche gezählt waren.

Ich beschloß, Campo Volo mit meinem Auto zu umrunden und fuhr auf abenteuerlichen Wegen sozusagen immer die Wand entlang. Flugplätze gehören anscheinend wirklich nicht zu den bevorzugte Wohnlagen und ich erblickte Bilder des Jammers und der Vernachlässigung. Ein Geländefähigkeits- und Stoßdämpfertest stand an:
Ich fuhr das gesamte Gelände von Campo Volo ab, zuerst längs des Corso Francia, dann bei Pianezza die Hügellandschaft in der Nähe von Turin und kehrte an den Fluß an dem Elends- quartier hinter dem Flugplatzgelände und dem Industriegelände zurück.
Dort schließt sich eine üppige Villengegend in der Hügellandschaft gegen die Armut der vor dem Tor Hausenden mit einem Metalltor- und Zaun ab, wo man nur mit Magnetkarte oder persönlichem Einlaß passieren kann.

Anschließend fuhr ich zur Flughafengaststätte, stellte mein Auto ab, betrat das Rollfeld und besah mir das Flughafengelände genauer. Ein Herr sprach mich an, was sich dort wolle.
Ich erzählte ich, am Vortage sei ich im Abarth-Werk gewesen und hätte erfahren, daß direkt nebenan auf dem Flugplatz die Fahrzeuge früher getestet worden seien,
Früher?  unterbrach er mich und teilte mit, daß immer noch Fahrzeuge aus dem Abarthwerk auf dem Flugplatz getestet und gefahren würden.
Im Verlauf des weiteren Gespräches mißtraute ich meinen Ohren und meinem Sprachverständnis, denn ich hatte das Gefühl, er hätte mich gefragt, ob ich mit ihm nach Cuneo mitfliegen wolle. Ich bat ihn, seinen Satz zu wiederholen. Er wiederholte seine Frage, ob ich mit ihm nach Cuneo fliegen wolle. Daraufhin fragte ich ihn, ich hätte verstanden ob er mit mir nach Cuneo fliegen wollte und er wiederholte noch einmal:
Ja, das frage ich Sie jetzt zum vierten Mal!
Daraufhin antwortete ich ihm, ich würde sehr gerne mit ihm nach Cuneo fliegen.
So stiegen wir in ein schon bereitstehendes Flugzeug ein.
Die üblichen Startformalitäten Klappencheck und Flughafenfunkverkehr wurden getätigt, der Motor arbeitete, das Flugzeug hob ab:

Wir zogen eine weite Schleife über Turin und ich sah das erste Mal diese Stadt von oben.
Alessandro Villa forderte mich auf selber das Steuern zu übernehmen, was ich für einige Minuten auch machte, aber dann bat ich ihn der grandiosen Aussicht wegen, doch bitte selbst zu steuern und habe mich auf den Ausblick konzentriert.
Während des Fluges unterhielten wir uns größtenteils auf Englisch, denn mein Italienisch ... siehe oben ... und die Nebengeräusche taten das ihrige.
Wir wendeten wir uns gegen das Val di Susa und flogen eine große Schleife um die Sacra San Michele, die zum Greifen nahe neben/unter mir war.
Nach der Umrundung flogen wir Richtung Cuneo auf die großen Berge zu, landeten auf dem dortigen Flugfeld und gaben ein Funkgerät zur Reparatur ab.
Ein altes Wasserflugzeug, das auf dem Flugplatz steht, besichtigten wir eingehend und machten uns nach etwa einer Stunde auf den Rückweg. Auf dem Rückflug hatte ich einen herrlichen Ausblick auf das im abendlichen Sonnenschein liegende Turin, man pflegt Richtung Campo Volo längs des Corso Francia anzufliegen, die Straße, die aus der Luft wie die Achse Turins wirkt. Diese sechs bis acht Spuren der Straße sind ein unübersehbares Band, welches Turin schneidet. Schon aus weiter Entfernung sah ich das Abarth-Werk liegen und fragte, ob es möglich sein werde, das Werk im Anflug von oben aus der Luft zu fotografieren.

Alessandro Villa meinte, das wäre ohne weiteres möglich, er kenne den Anflug bestens und brauche eigentlich kaum Sicht und so habe ich ihm während des Endanflugs mit dem Kameraarm beim Fotografieren des Abarthwerkes aus dem Fenster des Flugzeuges nach links doch sehr die Sicht verdeckt. Am Ende des unvergeßlichen Fluges setzten wir nicht nur weich und elegant auf, sondern uns noch im Flugplatz-Restaurant zusammen und erzählten uns ein wenig mehr voneinander.



Mein Onkel, der damals noch lebte und immer begeisterter Hobbypilot war, hatte mich lange davor einige Male auf Platzrunden mitgenommen; mein Traum, einmal woanders zu landen, als wo ich gestartet wäre, war nun in Italien wahr geworden, mir geschenkt durch einen Menschen, der mich gar nicht kannte und den ich gar nicht gebeten hatte.
Zudem hatte ich das noch in Nutzung befindliche Abarth-Werk nicht nur von oben gesehen, sondern auch noch fotografieren können.

Mille Grazie, Signor Villa!







Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen